Erinnert Ihr Euch noch an das Mädchen Yana aus Kiew? Nachdem ein benachbartes Hochhaus bei einem Angriff schwer beschädigt wurde, packten Yana (11), Alex (17) und Oma Tetiana (65) ihre Rucksäcke und machten sich auf den Weg aus der Stadt.
Die Flucht führte über Lviv nach Warschau und dann in ein Flüchtlingslager der Kirchengemeinde in Lublin, Ostpolen. Fast eine Woche waren die drei unterwegs, bis sie im Lager auf eine Organisation aus Deutschland trafen. Spontan entschlossen sie sich, mit einer Helferin nach Nordkirchen zu reisen, wo sie auch heute noch leben.
Vermutlich hätte niemand gedacht, dass aus der zufälligen Begegnung eine Zeit von zwei Jahren werden würde. Ein komplett neuer Lebensabschnitt: Sprachkurs, Schulbesuch, neue Freunde, Gastfamilie. Auf unbestimmte Zeit, denn niemand weiß, wie sich die Dinge entwickeln werden.
Mutter Anna (38) war in dieser Zeit nur wenige Male zu Besuch. Auch wenn die Trennung schwerfällt, müssen die Eltern zuhause das Geld verdienen und sich um den Opa kümmern. Anlässlich eines solchen Besuchs in Nordkirchen erzählen Anna und Yana aus ihrem Alltag:
Wie ist deine Situation in Kiew, Anna?
Es gibt viel Arbeitslosigkeit. Ich arbeite jetzt in einem Fast-Food-Restaurant. Mein ehemaliger Arbeitgeber – ihr hattet ja Bilder von meinem Arbeitsplatz gezeigt – war nicht sehr kulant, was meine freien Tage angeht. Um aber die Kinder zu sehen, benötige ich alleine 3 Tage für die Busfahrt nach Deutschland. Mit einer Woche Urlaub komme ich da nicht aus. Bei meiner neuen Arbeit verdiene ich zwar weniger, aber es ist flexibler.
Die Angriffe – wir nennen sie „die Meteoriten“ – sind erst weniger geworden, aber vor einigen Wochen wurde Kiew wieder angegriffen.
Yana, weißt du noch, dass wir im letzten Jahr Englisch gesprochen haben? Und in diesem Jahr sprichst du fließend Deutsch! Das ist eine große Leistung. Also erzähl mal – gern auf Deutsch – wie Euer Leben ist.
Danke, ich gehe in die 8. Klasse der Gesamtschule und habe gute Noten. Also alles ok. In Mathe habe ich manchmal Probleme, die Textaufgaben zu verstehen. Ich habe Freundinnen und gehe zum HipHop.
Nächstes Jahr machen wir unser erstes Praktikum und ich würde gern zur Polizei. Hier in der Nähe gibt es eine Polizeischule und das fände ich spannend.
Wie ist Eure Wohnsituation und wie geht es der Oma und dem Bruder?
Wir haben zwei Jahre lang in einem mini Apartment gewohnt. Vor kurzem sind wir in eine Wohnung der Gemeinde gezogen. Es ist weiterhin nur ein Raum, aber er ist groß und hell. Die Oma kümmert sich, kocht, kauft ein. Und sie besucht den Sprachkurs.
Für sie ist es nicht einfach, schon so lange getrennt zu sein von Opa und ihrer Heimat. Sie war noch nie woanders und sie ist nicht ganz gesund. Sie hatte auch schon zwei OPs hier, die sie mehr oder weniger allein durchstehen musste. Sie tut das alles nur für uns.
Alex ist jetzt 19. In der Ukraine hätte er im Jahr unserer Flucht eigentlich die Schule beendet und an der Uni in Kiew ein Studium angefangen. Würde er zurück gehen, müsste er in den Krieg. Das ist Mamas größte Angst.
Vermutlich keine einfache Frage: Habt Ihr einen Plan?
Wir haben an dem Dienstag nach dem Angriff auf unsere Straße, bei dem Menschen starben, unsere Rucksäcke gepackt und sind los. Mama, Papa und Opa sind dort geblieben, musste ja auf die Wohnung aufpassen und arbeiten. Natürlich haben wir nicht gedacht, dass wir so lange getrennt sein würden.
Und es fühlt sich komisch an. Denn natürlich bin ich auch gerne hier. Ich gehe zur Schule, habe Freundinnen, plane meine Zukunft. Aber die Ungewissheit und die Angst bleiben. Und der Plan? Vielleicht ist es eine Mischung aus Plan A und Plan B, den wir leben?!
Danke, Ihr beiden, dass Ihr Eure Gedanken mit uns geteilt habt!
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Yana und Anna Mahdik, Kathrin Anderseck