Leben am Rand der Stadt und am Rand der Gesellschaft: Elendsviertel in der Großstadt Cluj
Mehrere Hundert Menschen – darunter zahlreiche Kinder und Jugendliche – leben seit gut 15 Jahren auf einer Mülldeponie am Rand von Cluj, in Pata Rât. Halb legal. Sie werden geduldet. Roma-Familien. Sie leben von dem, was sie auf den Müllbergen finden. Zimmern sich einfachste Behausungen zusammen, ohne Strom, ohne Wasser. Babys krabbeln über löchrige Teppiche. Kinder hocken auf den matschigen Straßen und sortieren Kupfer-Drähte, um sie zu verkaufen. Die älteren Jugendlichen verbrennen Abfälle, um an Rohstoffe zu kommen. Ein beißender Gestank. Über der ganzen Szene kreisen schwarze Vögel.
“Kommt her. Ich zeig Euch was.” Eine Frau möchte, dass wir in ihr Haus kommen. Sie hat einen kleinen Hundewelpen in einem Einkaufskorb. Ob wir etwas zu Fressen für ihn haben, fragt sie uns mit Gesten. Leider nein. Wir haben Süßigkeiten für die Kinder, Sachen zum Waschen, Kleidung. Sie wirft dem Welpen ein paar Brocken Weißbrot hin und zuckt mit den Schultern. Er wird es schon irgendwie schaffen.
Andere Frauen, Mütter, kommen auf uns zu, zeigen auf ihren Bauch und sagen das rumänische Wort für Brei. Es fehlt an Nahrung – vor allem für die ganz Kleinen, denen man eigentlich Gutes zuteil werden lassen möchte. Aber es ist nichts da.
Kontakte sind geknüpft – Wie kann unser Engagement aussehen?
Wo will man hier anfangen? Was hilft überhaupt und wie kann ein Engagement für das rumänische Elendsviertel aussehen? Es drängen sich Gedanken auf, in welchem Maß hier überhaupt eine Veränderung machbar ist – angesichts dieser extremen Zustände, die bereits seit Jahren bestehen. Wir laden unseren Transporter mit Kleidung aus, verteilen Pakete mit Hygieneartikeln, die Kinder möchten unsere Bonbons und Kaugummis.
Ob die große deutsche Handelskette, die nur wenige Hundert Meter entfernt einen gigantischen Supermarkt betreibt, nicht unverkauftes Obst oder Gemüse liefern könne, fragen wir. “Ab und zu tun sie das”, ist die Antwort. Aber meistens nicht. Schwieriges Thema.
Ehrenamtliche Helfer haben eine zentrale Anlaufstelle geschaffen
Elka und Matthias stehen schon lange mit People to People in Kontakt. Sie fahren immer wieder selbst nach Cluj, auf eigene Kosten, um Hilfsgüter zu bringen und die Not wenigstens etwas zu lindern.
Der rumänische Verein rund um Nicu Gal hat in den letzten Jahren allerdings auch schon Beachtliches erreicht für die Menschen vor Ort: Mitten im Elendsviertel wird ein Kindergarten unterhalten mit einem angrenzenden Gemeinschaftsraum. Es gibt Toiletten und eine Küche. Kinder haben hier die Möglichkeit bekommen, regelmäßig in eine echte Betreuung zu gehen. Zu lernen, eine Mahlzeit zu erhalten und zumindest etwas Körperhygiene zu betreiben.
Die beiden Kindergartenräume sind liebevoll und bunt eingerichtet, es gibt Garderobenhaken mit Namen – Adelina, Eduard und Izabela heißen die Kinder – und Buchstabenbilder an der Tafel. So sieht ein erster Schritt aus. So kann er aussehen. Gegen viele Widerstände, mit wenigen öffentlichen Mitteln, größtenteils finanziert aus Spendengeldern.
Drei Stunden und “zehn Jahre” weiter in Tinca: In kleinen Schritten in die Gesellschaft
Die Stadt Oradea liegt drei Autostunden entfernt in Richtung ungarische Grenze. Noch einmal zwanzig Minuten vom historischen Stadtkern Oradeas entfernt, gibt es ein Dorf, das sich in den letzten zehn Jahren dank People to People extrem verändert hat: Tinca. Vor zehn Jahren waren die Zustände noch ähnlich wie in Cluj: “Straßenzüge unbefestigt, keine Kanalisation, kein Strom – Hunderte Menschen ohne irgendeine Perspektive”, erzählt man uns.
Das Bild heute: Neben asphaltierten Straßen, Strom und Wasser, konnte auf einem freien Grundstück eine Art Zentrum errichtet werden – ein Kindergarten, ein Spielplatz und eine Schule.
Ein Junge, vielleicht 13 Jahre alt, kommt auf uns zu und spricht uns auf Englisch an. Was wir hier machen. Ob wir mit Nicu da sind. Wir fragen ihn, wo er wohnt und ob das da hinten seine Freunde sind. Ja. Er holt sie her und alle sprechen Englisch. Und nicht nur ein bisschen, sondern ganz gut.
Eine Perspektive für Tinca: ein langer beharrlicher Weg mit viel Idealismus
Jahr für Jahr und in vielen kleinen Schritten konnte hier Großes geschaffen werden: Kleine Kinder besuchen die Kindergartengruppen mit Erzieherin Marina, die aus dem Viertel stammt, und ihren Kolleginnen. “Wir versuchen, den Kindern viele Anreize zu bieten. Das ist wichtig.” Die Kinder buddeln um sie herum im Sand und sind zufrieden.
In der benachbarten Schule gibt es vier Klassen mit bis zu dreißig Kindern. Es gibt Unterricht in allen Fächern, einen Schulsozialarbeiter und eine Krankenschwester. Und einige Mütter, die helfen, die Schule in Stand zu halten. Die Stimmung ist einladend und freundlich.
“Man kann nicht alle Kinder miteinander vergleichen. Und es gibt nicht nur gute Tage.” Ein Mitarbeiter der Schule erzählt ein bisschen über den Alltag in Tinca. “Sie kommen aus bildungsfernen Familien. Manche erkennen die Chance, die sie hier haben und machen riesige Fortschritte. Manche kommen ein paar Tage und dann nicht mehr. Manchmal fahre ich morgens um acht mit dem Auto durchs Viertel und hole die Kinder zur Schule ab. Wenn sie im Pyjama mitkommen, ist das ok. Es ist einfach so, weil viele Eltern selbst nie Zugang zu Schulbildung hatten.”
Viele Kinder aus Tinca wechseln in öffentliche Schulen – ihr Weg in die Gesellschaft
Dennoch kann sich die Bilanz bis heute sehen lassen: So ist es zahlreichen Kindern gelungen, dank der Fähigkeiten und Kenntnisse, die sie im Rahmen des Schulprojekts erworben haben, mit zwölf oder dreizehn Jahren in die öffentliche Schule im Ort zu wechseln. Und eine ganz normale Schullaufbahn zu absolvieren, um am Ende einen Beruf zu ergreifen und für sich selbst sorgen zu können. “Sie sind gestärkt fürs Leben und selbstbewusster geworden. Weil sie wissen, dass sie etwas wissen”, fasst eine Lehrerin zusammen.
Ihre Worte sind von großer Bedeutung, finden wir. Noch einmal mehr, wenn man sich mit den Leuten von People to People über das Thema Menschenhandel in Rumänien unterhält: Vor allem junge Frauen, aber auch männliche Jugendliche sind betroffen und gelten besonders dann als gefährdete Gruppe, wenn ihnen eine Perspektive fehlt, die sie aus eigener Kraft erreichen können.
Ein Thema, welches unglaublich schwer wiegt und wir, an dieser Stelle und zum jetzigen Zeitpunkt, nicht in angemessener Form vertiefen können und möchten. Fest steht jedoch: Der Faktor Bildung spielt eine entscheidende Rolle. Die entscheidende Rolle.
Zusammenarbeit mit den rumänischen Helfern: Es wird sondiert
Die Möglichkeiten einer Kooperation mit dem rumänischen Verein und den ehrenamtlichen Mitarbeitern vor Ort haben in den Folgetagen Elka Sou, Matthias Straub sowie Jürgen Perteck diskutiert. Im Gespräch steht für das Elendsviertel bei Cluj vorrangig die Frage nach der Aufrechterhaltung des Kindergartens in Zeiten gestiegener Energiekosten. Auch die Verbesserung von Straßen, Wegen und Gebäuden ist ein wichtiger Schritt, um die Infrastruktur weiter voranzutreiben, die Lebensumstände erträglicher zu gestalten und den Weg in die Gesellschaft zu ebnen.
In Tinca geht es beispielsweise um den Bau eines Küchen-Containers für Schule und Kindergarten. Denn auch wenn es bereits Lebensmittelspenden gibt, reicht es nicht immer für alle. Viele Kinder gehen mittags hungrig nach Hause und bekommen dort nicht ausreichend Nahrung. Daher sind auch die weitere Generierung von Lebensmittelspenden sowie die Einrichtung eines Lagerraums für Hilfsgüter und Kleidung im Gespräch.
Wir freuen uns über Unterstützung – Eure Spenden überbringt unser Team persönlich und direkt
Wenn Ihr diese Projekte unterstützen möchtet, würden wir uns sehr freuen. Ihr dürft sicher sein, dass jeder gespendete Euro direkt vor Ort ankommt. Denn in diesem Bericht habt Ihr die Personen kennengelernt, die sich engagieren, selbst immer wieder nach Rumänien reisen, um Spenden und Hilfsmittel zu überbringen und Projekte voranzutreiben. Elka, Matthias, Jürgen, Jan und Kathrin stehen Euch jederzeit gerne für Fragen zur Verfügung (per Email) und freuen sich, wenn Ihr einen genauen Empfängerkreis bestimmen möchtet – Cluj oder Tinca, Lebensmittel oder Lernmaterial, alles ist möglich und kommt garantiert an.
Wir halten Euch weiter auf dem Laufenden und danken Euch schon jetzt für Euer Interesse! Unsere Reise haben wir zudem in einem Video festgehalten, das Ihr auch auf Instagram oder YouTube findet – zusammen mit weiteren Infos zu unseren Aktivitäten.
Weiterführende Informationen über Menschenfreude e.V. für Rumänien
- Mehr Informationen über die People to People Foundation findet Ihr hier.
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